Nachrichten aus der Schuldenfalle (1/Director's Cut)
Die ominöse Postsperre
Diese Postsperre hat nichts mit
aufgelassenen Postfilialen vulgo Postämtern
zu tun und nichts mit klammheimlich demontierten Postkasteln. Hier geht
es darum, dass Menschen, die in finanziellen Nöten sind, von einem
Tag auf den anderen ihre persönlichen
Briefe nicht mehr erhalten. Im Rechtsstaat Österreich. In Deutschland
übrigens auch. Alle Pleiten bzw. Konkurse haben drei
Dinge gemeinsam: Erstens, keiner geht gerne in Konkurs. Zweitens, es
ist immer wer anderer schuld. Drittens: Insolvenzverfahren sind fast
immer Auslöser von gesundheitlichen Problemen, Krankheiten, zerrütteten
Familien und ein nicht zu unterschätzender Teil der Betroffenen ist
knapp vor oder knapp nach Eröffnung des Verfahrens Suizid-Opfer. Darüber
redet keiner gerne, Insolvenz ist Tabu-Thema, Betroffene sind stigmatisiert.
Besonders in der Wirtschaft. Es ist eine persönliche Katastrophe. Das
relativiert die volkstümliche Ansicht von den gefinkelten Leuten, die
den Konkurs absichtlich herbeiführen, schon gewaltig. Hier steht bewusst „Leute“ und nicht
„Unternehmer“, denn in Konkurs kann jeder gehen. Auch Private. Dort
heißt es dann meistens „Schuldenregulierungsverfahren“ und läuft
geringfügig anders ab. Als hätte der oder die Schuldner oder
-in, die Mitarbeiter und erst recht die Familie, nicht schon genug Existenz-Probleme
um die Ohren, sieht die Konkursordnung *) vor, dass der Schulden-Sünder
ab dem Datum der Konkurs-Eröffnung seine Post nicht mehr zugestellt
bekommt. Das ist für viele Betroffene der erste und sehr tief sitzende
Schock des Verfahrens. Weil er’s nämlich nicht versteht und weil
die persönlichen Briefe, Postgeheimnis schau oba!, bisher zu
seinen intimsten Dingen gehört hatten. Ab sofort gilt also dieses Postgeheimnis
nicht mehr für ihn und er muss froh sein, wenn er seine Korrespondenz
irgendwann und überhaupt und doch noch bekommt – nach dem sie von
einem Zensor gelesen wurde. Das heißt: Jeder Brief, jede Zeitung,
jedes Packerl werden ab Konkurseröffnung, egal was hinter diesem Konkurs
wirklich steckt und wie der dann ausgeht, nicht mehr dem, dem sie gehören,
zugestellt, sondern einem so genannten Masseverwalter, der ein verlängerter
Arm der Justizkrake ist. Der, vielmehr dessen amüsiertes Personal,
öffnet nun alle Poststücke, schaut hinein, liest oder kopiert, wer
weiß das, und danach kann sich der Schulden-Büßer während der Kanzleistunden
seine Sachen abholen. Wenn das Büro des Masseverwalters wenig Zeit
hat oder mal auf Urlaub ist, kann das auch schon etwas länger dauern.
Welche zusätzlichen Katastrophen zu spät erhaltene Briefe auslösen
können, was eine vier Tage alte Zeitung wert ist, kann sich jeder selbst
ausrechnen. Nicht jeder Pleitier muss seinen Laden
zusperren. Manche derrappeln sich, wenn die Gläubiger zustimmen, wirft
Ballast ab, und tut alles, um die Masse, also das Geschäft oder den
Haushalt, zu retten. Der wirtschaftlich Verunglückte muss nun, statt
dass er alle Energien in die Rettung seiner Existenz steckt, täglich
zum Masseverwalter pilgern, der kann viele Kilometer entfernt sein,
um seine Geschäftspost von vor drei Tagen zu holen, ohne die er nicht
kann. Und verschafft dadurch seiner Konkurrenz einen erheblichen Zeitvorteil
und seinem eigenen Betrieb und natürlich auch seinen Gläubigern Schaden.
Denn weniger Geld für den insolventen Betrieb heißt auch weniger Schadensminimierung
für die Gläubiger, das sind oft selbst kleine Handwerker oder Dienstleister. Im Paragraf 78 der Konkursordnung
klingt das Unfassbare unter zweitens und drittens wörtlich so: „(2)
Das Gericht hat zugleich mit der Konkurseröffnung die Post- und Telegraphendienststellen
[die es so gar nicht mehr gibt], die Flugplätze, Bahnhöfe und Schiffsstationen,
die nach Lage der Wohnung und der Betriebsstätte in Betracht kommen,
von der Konkurseröffnung zu benachrichtigen. Solange es keinen gegenteiligen
Beschluß faßt, haben diese Stellen dem Masseverwalter alle Sendungen
auszuhändigen, die sonst dem Gemeinschuldner auszufolgen wären. Das
gilt nicht für die mit der Post beförderten gerichtlichen oder sonstigen
amtlichen Briefsendungen, sofern sie mit einem auf die Zulässigkeit
der Zustellung trotz der Postsperre hinweisenden amtlichen
Vermerk versehen sind. (3) Der Masseverwalter darf die ihm ausgehändigten
Sendungen öffnen. Er hat gerichtliche und sonstige amtliche Schriftstücke,
die die Masse nicht berühren, mit einem auf die Anhängigkeit des Konkursverfahrens
hinweisenden Vermerk zurückzusenden. Ansonsten hat der Masseverwalter
dem Gemeinschuldner Einsicht in die an diesen gerichteten
Mitteilungen zu gewähren und ihm die Sendungen, die die Masse nicht
berühren, unverzüglich auszufolgen.“ Wie man sieht, es geht dem Gesetzgeber
sehr wohl auch um Privates, denn er verlangt auch die Briefe zu sehen,
„die nach Lage der Wohnung“ zugestellt werden sollen. Es gibt vielleicht 30 gute Gründe, warum
die Postsperre ein juristischer Unsinn von Metternichs Gnaden ist. Hier
sind einmal die wichtigsten. Wer als Schuldner vor dem Konkursrichter
steht sollte sofort und bei der ersten Verhandlung die Aufhebung der
Postsperre beantragen und diese (und seine persönlichen) Argumente
alle anführen. 1. Die Postsperre inkludiert, dass der Masseverwalter Sendungen zu öffnen und zu lesen hat. Das schließt Printmedien (Presse), ebenso private und intime Schreiben mit ein, genauso Zustellungen religiöser und politischer Art. Dieser Vorgang ist Grundrechts-, Menschenrechts-, vor allem Verfassungswidrig. (Artikel 13. RGBl.Nr. 142/1867, Staatsgrundgesetz vom 21. Dezember 1867, über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger für die im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder: Meinungsfreiheit, Verbot der Zensur, Abschaffung der Postverbote. BGBl.Nr. 210/1958 zuletzt geändert durch BGBl. III Nr. 30/1998, Europäische Menschenrechtskonvention, Die Europäische Menschenrechtskonvention ist gemäß BVG BGBl. Nr. 59/1964 mit Verfassungsrang ausgestattet (EMRK): Meinungsfreiheit, auch „zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten oder Ideen ohne Eingriffe öffentlicher Behörden“. Artikel 19, Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte, BGBl.Nr. 591/1978 (Vorbehalt Österreichs (siehe Titeldokument, BGBl. Nr. 591/1978): Meinungsfreiheit, „dieses Recht schließt die Freiheit ein, ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen Informationen und Gedankengut jeder Art in Wort, Schrift oder Druck, durch Kunstwerke oder andere Mittel eigener Wahl sich zu beschaffen, zu empfangen und weiterzugeben.“ StGBl. Nr. 3/1918, Beschluss der provisorischen Nationalversammlung vom 30. Oktober 1918. Art. 63 StV von Saint-Germain en Laye, StGBl. Nr. 303/1920: „Jede Zensur ist als dem Grundrecht der Staatsbürger widersprechend als rechtsungültig aufgehoben“ und „die Erlassung eines Postverbotes gegen solche findet nicht mehr statt. Die bisher verfügten Einstellungen und Postverbote sind aufgehoben. Die volle Freiheit der Presse ist hergestellt.“ Art. 63 StV von Saint-Germain en Laye, StGBl. Nr. 303/1920.: „Österreich verpflichtet sich, allen E i n w o h n e r n
Ö s t e r r e i c h s
[…] Freiheit zu gewähren“ 2. Das Berufen auf § 78.
Konkursordnung, RGBl.Nr. 337/1914 zuletzt geändert durch BGBl.Nr. 532/1993,
ist daher unzulässig, da Verfassungsgrundsätze vorrangig sind. 3.
Die Postsperre ist nicht zwingend, die
Konkursordnung räumt dem Gericht die Möglichkeit ein, die Postsperre
nach Ermessen aufzuheben. 4.
Das Gericht und der Masseverwalter sind verpflichtet, die Masse,
die Gläubiger und gegebenenfalls den Fortbestand des Unternehmens zu
schützen. Durch die Postsperre muss eine Person
möglicherweise quer durch ein Bundesland fahren um die Sendungen vom
Masseverwalter abzuholen. Das verursacht unnötige Spesen (Personalaufwand,
Fahrtkosten, Parkgebühren), Risiko und Zeitaufwand (inklusive ggf.
zweimaligem Umziehen, z. B. wenn der Schuldner Handwerker ist).
Er muss seinen Arbeitsplatz dazu verlassen, was Geld kostet bzw. Verdienstentgang
bedeutet. Gerade in einer Situation, in der der Betrieb alle Ressourcen
bündeln muss, um das Unternehmen und die Gläubigerinteressen zu wahren,
wird er für völlig unnötige Behördenwege eingesetzt und schadet
dem Betrieb. 5.
Dadurch wird die Zustellung von wichtiger Korrespondenz verzögert.
Ein Geschäftspartner schickt beispielsweise einen Auftrag, der kommt
an die Zustelladresse, wird dort vom Zusteller abgefangen und an den
Masseverwalter weitergeschickt. Möglicherweise senden die Zuständigen
bei der Post AG die Poststücke nicht täglich weiter (was schon eine
Verzögerung von rund drei Tagen bedeutet), sondern bündeln diese und
senden nur alle paar Tage weiter. Das schadet dem ohnedies um seine
Existenz kämpfenden Unternehmen, der Masse und den Gläubigern. 6.
Der Begriff der Postsperre ist schon semantisch
obsolet. Da die Aufhebung des Postmonopols EU-Recht ist, kann es
den Begriff der Postsperre gar nicht mehr geben weil der Begriff
„Post“ kein amtlicher mehr ist.
Die Post AG könnte sich, und wird es vielleicht auch gelegentlich,
völlig anders benennen, wie das andere ehemals hoheitliche Betriebe
auch gemacht haben (Beispiel: Die ehemals öffentliche Luftraumüberwachung
heißt nun „AUSTRO CONTROL Österreichische Gesellschaft für Zivilluftfahrt
mit beschränkter Haftung“). 7.
Die Postsperre ist auch technisch bzw. praktisch obsolet. Durch
die Aufhebung des Postmonopols in Österreich werden etwa Sendungen
von so genannten „alternativen“ Zustellern überbracht, Printmedien
von Hauszustellungen in den sehr frühen Morgenstunden, anderes von
privaten Zustellern (DHL, RedMail, Mediaprint, Fahrradboten usw.) oder
z. B. auch von der deutschen Post. 8.
Abgesehen davon konnten immer schon Sendungen an andere Personen im
selben Haushalt, in der Nachbarschaft, im Kollegenkreis usw. gerichtet
werden, auf die die Postsperre nicht zutreffen kann. Hätte ein Insolvenzgläubiger
tatsächlich Böses im Sinne, läge es auf der Hand,
dass er Briefe am Masseverwalter vorbei schmuggelt, in dem er
sie an eine andere Adresse oder bloß an einen anderen Namen an der
selben Adresse senden lässt. 9.
Konnten seit mindestens zwanzig Jahren selbst Verträge per Fax übermittelt
werden, werden heute alle wichtigen Korrespondenzen, Dokumente, Vereinbarungen
usw. per E-Mail, ja sogar per sms übermittelt.
Wobei es eine Reihe anderer elektronischer Übermittlungen gibt,
die sich der Behördenkontrolle ebenfalls schon technisch (aber auch
rechtlich) entziehen. 10.
Das Argument, dass das Gericht mit dieser Zensurmaßnahme die Gläubigerinteressen
gegen kriminelle Handlungen schützen will, ist unzureichend, weil diese
Absicht einen dermaßen groben Eingriff in die persönlichen Grundrechte
der Staatsbürger nicht rechtfertigt. Wenn der Staat die Gläubigerinteressen
schützen will, dann wird er es angemessen tun müssen und
nicht dermaßen überzogen. 11.
Ein Vergleich mit Strafgefangenen wird beim besten Willen nicht
anzustellen sein, obwohl die staatsbürgerlichen Rechte auch für diese
gelten müssten. 12.
Zudem würde diese Postzensur den automatischen Verdacht einschließen,
dass jeder in die Insolvenz geratene
per Gesetz kriminell, jedenfalls
verdächtig und potentieller Betrüger sei. Die Postsperre ergibt zwar keinen Sinn,
ist aber ein Mittel, säumige Zahler zusätzlich zu bestrafen, ihnen
das Leben schwer zu machen, abschreckend zu wirken – so ein bisschen
Strafe im Zivilverfahren – ohne Schuldfragen erst klären zu wollen. Zugegeben: Es ist sehr kompliziert, sich
hier auszukennen. Aber es ist noch komplizierter, sich dabei nicht auszukennen! Erich Félix Mautner *) Für die, die’s genau wissen müssen: Konkursordnung, RGBl.Nr. 337/1914 zuletzt geändert durch BGBl.Nr. 532/1993 und Konkursordnungs-Novelle 1993 - KO - Nov. 1993, BGBl.Nr. 974/1993 ST0351 |