KUNST KOMMT VON DÜRFEN 3 |
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Wie viele Zähne haben die NS-Verbotsgesetze? Ausgehend vom Verfassungsgrundsatz der Freiheit der Kunst geht Erich Félix Mautner der Frage nach, wie sehr Kunst und Künstler wirklich frei sind. Zum Beispiel, was war so falsch daran, als der 52jährige Schauspieler Hubsi Kramar zum letzten Opernball im Hitler-Kostüm wollte bzw. vor den Toren der Wiener Staatsoper, unter Einbeziehung der Wiener Polizei, ein künstlerisch-kritisches Happening veranstaltet hatte? „Der Robin Hood der freien Theaterszene“ („Der Standard“), hat mit seinem Auftreten möglicherweise gegen mehrere Gesetze verstoßen, die im Rechtsbewusstsein der Österreicher als NS-Verbotsgesetze verankert sind: Auch im Namen der Kunst dürfen NS-Ideologien nicht gutgeheißen werden: Erstens, in der chronologischen Reihenfolge ihres Inkrafttretens: StGBl. Nr. 13/1945, Verfassungsgesetz vom 8. Mai 1945 über das Verbot der NSDAP (Verbotsgesetz), zuletzt geändert durch BGBl.Nr. 25/1947. Käme nämlich das Gericht zu der Auffassung, Kramar hätte sich durch sein Auftreten und den Hitler-Gruß im Sinne dieses Gesetzes „wiederbetätigt“, dann hätte das Gesetz in seiner Erstfassung vorgesehen gehabt, dass wer sich für die Nazis, „für sie oder ihre Ziele betätigt, macht sich eines Verbrechens schuldig und wird hiefür mit dem Tode und dem Verfall des gesamten Vermögens bestraft.“ Dieser Absatz fehlt in der geltenden Fassung des Gesetzes. Zweitens: BGBl. Nr. 15/1946, Bundesgesetz vom 21. Dezember 1945, womit ein Verbot des Tragens von Uniformen der deutschen Wehrmacht erlassen wird (Uniform-Verbotsgesetz). Dieses Gesetzeswerk kommt mit erstaunlich kurzen drei Paragraphen aus, gegen die Hubsi Kramar und jeder andere Schauspieler, der in Nazi-Uniform auftritt, vielleicht verstoßen hat: § 1. Das Tragen von Uniformen der deutschen Wehrmacht ist verboten § 2. Zuwiderhandeln gegen das Verbot des § 1 wird als Übertretung vom Gericht mit Geld bis zu 2000 S oder mit Arrest bis zu zwei Monaten bestraft § 3. (1) Dieses Gesetz tritt am 15. Jänner 1946 in Kraft. Drittens: BGBl.Nr. 25/1947, Bundesverfassungsgesetz vom 6. Februar 1947 über die Behandlung der Nationalsozialisten (Nationalsozialistengesetz), zuletzt geändert durch BGBl.Nr. 422/1974, das das Verbotsgesetz aus 1945 ablöst. Enthält ein Kunstwerk Inhalte, die nach diesem Gesetz verboten sind, so hatte die Drohung 1947 noch gelautet: „§ 3d. Wer öffentlich oder vor mehreren Leuten, in Druckwerken, verbreiteten Schriften oder bildlichen Darstellungen zu einer der nach § 1 oder § 3 verbotenen Handlungen auffordert, aneifert oder zu verleiten sucht, insbesondere zu diesem Zweck die Ziele der NSDAP, ihre Einrichtungen oder Maßnahmen verherrlicht oder anpreist, wird, sofern sich darin nicht ein schwerer verpöntes Verbrechen darstellt, mit schwerem Kerker von 10 bis zu 20 Jahren und mit dem Verfall des gesamten Vermögens bestraft.“ Die hier zitierten schwereren Verbrechen werden „mit dem Tode und mit dem Verfall des gesamten Vermögens bestraft.“ Der geneigte Leser mag nun noch so lange grübeln, er wird in der Österreichischen Rechtsgeschichte keinen wegen Wiederbetätigung Verurteilten finden, der dieses Strafausmaß ausgefasst hatte. Vor der Verhängung der Todesstrafe muss sich gegenwärtig kein Österreichischer Künstler fürchten, die wurde im Jahr der Studentenrevolte, ¾ 1968, durch das BGBl.Nr. 73/1968 Artikel 85. mit dem Satz, „Die Todesstrafe ist abgeschafft“ aus dem Österreichischen Recht eliminiert - nicht schon früher. Die Schere zwischen der Strafandrohung (bis zum Hängen) und den tatsächlich üblichen Freisprüchen hat die „Arbeiter-Zeitung“ am 20. Februar 1986 noch so analysiert: „In der Praxis hat sich das NS-Verbotsgesetz aus dem Jahr 1945 als schwer handhabbar erwiesen. Es sieht beispielsweise Freiheitsstrafen von mindestens zehn Jahren vor, was die Bestrafung von „Kleinkriminalität“ wie das Verteilen von Flugblättern eher erschwert. Die Zuständigkeit von Geschworenengerichten hat zudem noch zwangsläufig zu einer relativ großen zeitlichen Distanz zwischen Tat und Strafvollzug geführt.“ Eine aus dieser Zeit stammende Information des Büros des damaligen Innenministers Franz Löschnak berichtet: „Die Sicherheitsbehörden schöpfen alle zur Verfügung stehenden rechtlichen Möglichkeiten aus ... Verbotsgesetz, Strafgesetzbuch, Vereinsgesetz, Versammlungsgesetz, Fremdenpolizeigesetz, Abzeichengesetz, Einführungsgesetz zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen“. Sodann teilt der Innenminister mit, Verstöße gegen das Verbot der Wiederbetätigung stellen „nunmehr auch einen Verwaltungsstrafrechtlichen Tatbestand dar. Die Verwaltungsbehörde kann dabei einen Strafrahmen bis zu 30.000 Schilling ausschöpfen.“ Hubsi Kramar wird, bei engster Auslegung der NS-Verbotsgesetze der Tatbestand der Wiederbetätigung nicht anzuhängen sein. Selbst die Polizisten, die ihn vor der Oper festgenommen haben, hatten den Inhalt des Schauspiels erkannt: „Die haben sofort durchschaut, dass das der Anti-Hitler gewesen ist.“ Über jenen Künstlern, Autoren, Gastkommentatoren und Historikern, deren Werke tatsächlich gegen die Verbotsgesetze verstoßen, hängt weiterhin das Damoklesschwert, dass nicht jeder Künstler jeden Inhalt vermitteln darf. Das BGBl.Nr. 13/1945 zuletzt geändert durch BGBl.Nr. 148/1992 hatte endlich die Lücke der Leugnung gestopft: „Nach § 3g wird auch bestraft, wer in einem Druckwerk, im Rundfunk oder in einem anderen Medium oder wer sonst öffentlich auf eine Weise, dass es vielen Menschen zugänglich wird, den nationalsozialistischen Völkermord oder andere nationalsozialistische Verbrechen gegen die Menschlichkeit leugnet, gröblich verharmlost, gutheißt oder zu rechtfertigen sucht.“ Ein Kunstwerk darf keine Verhetzung oder rassische Diskriminierung enthalten: Der traurigen Vollständigkeit halber sei hier ergänzt, dass als Staatsgesetzblatt Nr. 14 aus 1945 die „Kundmachung der Provisorischen Staatsregierung vom 13. Mai 1945 über die Aufhebung der „Nürnberger Rassengesetze“ veröffentlicht wurde. Das Bundesverfassungsgesetz über die Beseitigung rassischer Diskriminierung aus 1973 bestimmt, „Jede Form rassischer Diskriminierung ist - auch soweit ihr nicht bereits Art. 7 des Bundes-Verfassungsgesetzes in der Fassung von 1929 und Art. 14 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl.Nr. 210/1958, entgegenstehen - verboten. Gesetzgebung und Vollziehung haben jede Unterscheidung aus dem alleinigen Grund der Rasse, der Hautfarbe, der Abstammung oder der nationalen oder ethnischen Herkunft zu unterlassen“. „Kunst, zeugt nicht nur von Macht und Machtmissbrauch, sie verfügt auch selbst über Macht - und sie kann diese Macht auch missbrauchen’, sagte Klestil. Die Frage, wie ,Kunst die ihr eigene Kraft oder Macht missbrauchen’ kann beantwortete das Staatsoberhaupt dann mit ,Ich halte es hier mit Hermann Broch, der schrieb, dass das Böse der Kunst der ,Kitsch’ sei - also jene Form von Kunst, die nur um ihrer selbst willen existiert, und die eben nicht notwendig ist’. Im Sinn der These von Arnold Schönberg, wonach Kunst nicht von ,Können’, sondern von ,Müssen’ komme, folgerte Klestil: ,Kunst kommt von Müssen, sie ist also notwenig’.“ („Wiener-Zeitung“, 21. Juli 2000) Die neuen elektronischen Medien stellen die Behörde vor zunächst schwer lösbare Probleme, Gerhard Litzka, stellvertretender Sektionschef im Justizministerium, klagt: "Wir haben zwar in Österreich wirksame Gesetze, die auf unseren negativen historischen Erfahrungen basieren. In den meisten anderen Staaten gibt es aber keine vergleichbaren Bestimmungen, was Faschismus oder Rechtsextremismus angeht. Das macht die internationale Zusammenarbeit sehr schwierig." Die „Salzburger Nachrichten“ vom 4. August 2000: „Die Betreiber der braunen Propaganda agieren zumeist anonym und schicken ihre Machwerke am Liebsten über US-Provider in das Netz. Denn in den USA ist Volksverhetzung kein Straftatbestand, selbst der Aufruf zu Gewalt ist noch durch das amerikanische Grundrecht auf Meinungsfreiheit gedeckt. Auf Hilfe der US-Behörden können österreichische und deutsche Ermittler im Kampf gegen rechtsextreme Umtriebe nicht setzen.“ Es könnte ergiebig sein, nicht im Sinne der Freiheit der Kunst aber im Sinne der Österreichischen Demokratie, die Plakatkunst in Wahlzeiten und die schriftstellerischen Ergebnisse im Kleinformat-Boulevard nach diesen Kriterien zu scannen! Obwohl Offizialdelikte gibt es auch hier ohne Kläger keine Richter. Das Strafgesetzbuch kennt den „§ 283. (1) Wer öffentlich auf eine Weise, die geeignet ist, die öffentliche Ordnung (Anm.d.Red.: Auf diese wird später ausführlicher eingegangen) zu gefährden, zu einer feindseligen Handlung gegen eine im Inland bestehende Kirche oder Religionsgesellschaft oder gegen eine durch ihre Zugehörigkeit zu einer solchen Kirche oder Religionsgesellschaft, zu einer Rasse, zu einem Volk, einem Volksstamm oder einem Staat bestimmte Gruppe auffordert oder aufreizt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren zu bestrafen. (2) Ebenso ist zu bestrafen, wer öffentlich gegen eine der im Abs. 1 bezeichneten Gruppen hetzt oder sie in einer die Menschenwürde verletzenden Weise beschimpft oder verächtlich zu machen sucht.“ So problematisch der Ruf nach Strafe ist: Es drängt sich die Frage auf, ob manche Kolumnenschreiber mit ihrer Lebenserwartung auskämen, würde dieser Paragraph konsequent angewendet. Erich Félix Mautner Teil 4: Du sollst nicht schweinigeln Betreff: Verdacht des Verstoßes gegen strafrechtliche Vorschriften (§ 283 StGB, § 3h VG u.a.) In beiliegendem Zeitungsartikel (Börsen-Kurier Nr. 30 vom 29. Juli 1999, Seite 15, Wochenanalyse, „Chuzpe“) werden expressis verbis und ausdrücklich Behauptungen aufgestellt, die strafrechtliche Konsequenzen (Rassische Verhetzung, nationalsozialistische Wiederbetätigung, Verharmlosung des Holocaust, Verstoß gegen NS-Verbotsgesetze u.a.) nach sich ziehen sollten. In dem Artikel wird den Hinterbliebenen des Holocausts unehrenhaftes Verhalten vorgeworfen, weil sie von den Banken das Geld zurück wollen, dass diese bisher einbehalten haben. Die Semantik bemängelt, dass es die sind, die eh hinterblieben sind, also gar nicht so schlecht weggekommen. Die Banken würden eh zahlen, die Semantik unterstellt: weil sie erpresst würden, patschert sind, „ohne Anerkenntnis eines Verschuldens“, also schuldlos, also ohne dass dieses zuzugeben wäre und überhaupt zu prüfen sei, „als Geste des guten Willens“ - als wäre es (nach 55 Jahren) freiwillig. Weil sie mit langwierigen Prozessen erpresst würden. Die folgende Argumentations-Kette, „Für dieses Verhalten gibt es ein Wort: Chuzpe“ - „Gefährlich wird sie durch die Hilflosigkeit der Goyim ... gegenüber der Chuzpe“ - „Verhaltet euch nicht so dumm und hilflos. Chuzpe wirkt nur, wenn man sich nicht dagegen wehrt“ - „Chuzpe macht gewalttätig“ - sollte als Aufruf zur Gewalt gegen Juden gelesen werden! Durch die Wahl der Ausdrücke, einerseits jiddisch, andererseits deutsch, wird unterstellt dass es sich um einen Konflikt Judentum versus „deutsche und österreichische Banken“ handelt, Angst vor dem irrationalen Begriff „Weltjudentum“ vermittelt. Spätestens die Conclusio, dass „vor dem Holocaust so manche Chuzpe dazu geführt hat, Hitler als Retter dagegen zu sehen“ sollte den Tatbestand der Strafbarkeit erfüllt haben! (Ausschnitt aus einem Schreiben an die Staatsanwaltschaft Wien vom 4. November 1999, einer von mehreren Sachverhaltsdarstellungen gegen diesen Artikel. Ein ähnliches Schreiben des Dokumentationsarchives des österreichischen Widerstandes liegt auch vor, zwei Beschwerden an den Österreichischen Presserat detto. Eine Strafverfolgung gegen Autor oder Medienverantwortlichen durch die Justiz fand nicht statt. „Die Staatsanwaltschaft hat die Anzeige gegen Dr. Herbert LASZLO wegen § 283 StGB; 3h VG geprüft und keine genügenden Gründe gefunden, gegen den (die) Angezeigten(n) ein Strafverfahren zu veranlassen“. Ähnlich argumentiert der Presserat, nämlich dass die Beschwerde „in der Senatssitzung vom 29. September 1999 behandelt und das Verfahren zurückgelegt wurde.“
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